Verpuppt Euch!
Zwei Stunden Ruhe. Endlich! Niemand da. Ich sitze ALLEIN im Wohnzimmer und beisse in einen Schokoriegel, einen Restbestand von Halloween 2019. Selten noch hat mir ein alter Schokoriegel so gut geschmeckt. Warum ich alte Schokoriegel esse? Weil sie da sind. Und ich auch. Seit 14 Tagen. In Zeiten wie diesen gilt es, die vorhandenen Ressourcen zu nutzen. Den Schokohasen von Ostern 2018 habe ich allerdings entsorgt. Schweren Herzens, man schmeisst ja nix weg, was theoretisch noch gut ist. Nicht in der Corona-Krise und sonst auch nicht.
Als Kind aß ich die Kilodosen Corned Beef der deutschen Bundeswehr (in goldenen Konservendosen), wobei sich meiner Kenntnis entzog, ob die noch vom Zweiten Weltkrieg übrig waren oder sie mein preisbewusster Onkel in irgendeiner Kaserne mitgehen ließ. Man erklärte mir jedenfalls, DIESES Corned Beef, das kann man nicht umbringen. Es stellte sich nur die Frage: konnte es JEMANDEN umbringen?
Das Einlagern, das Aufheben und das Wiederverwerten waren die heilige Dreifaltigkeit in meiner Familie. Weihnachtsgeschenke wurden unter größter Vorsicht geöffnet, das Geschenkpapier zusammengelegt (im Notfall gebügelt) und fürs nächste Jahr aufgehoben. Kleidung und Schuhe kamen von der großen Schwester und die hatte sie wiederum aus der Tauschzentrale in der Westbahnstrasse, der völlig uncoolen Vintage-Boutique der 80-er Jahre.
Bis heute macht es mir eine fast ekstatische Freude, Dinge aus dem Hut zu zaubern: mein original Jeanshemd Größe XL aus dem Jahre 1990 zum Beispiel oder die Wolldecke aus Polyacryl mit dem psychedelischen 70-er Jahr Muster oder eben den gut abgelegenen Schokoriegel.
Wobei: bei Lebensmitteln muss man vorsichtig sein, blindes Vertrauen in 10 Jahre abgelaufenes Rotkraut in der Dose kann schon mal zu einem Trauma führen. Nicht bei mir, bei meinem Mann, dem ich es 1997 zu Knödeln an Fleisch servierte. Es sah eigentlich ganz schön aus, doch der Geschmack war so ein bisserl - bleiern. Ja das war nicht gut, aber ich war jung, ich hatte kein Geld. Wir lernen: Abgelaufenes Corned Beef ins Kröpfchen, abgelaufenes Rotkraut ins Töpfchen. Ich gab mich ahnungslos, führte die schöne Farbe ins Treffen, aber mein misstrauischer Mann fischte die Dose aus dem Mistkübel und seither ständig Diskussionen um das Mindesthaltbarkeitsdatum. Er meint, mein Tick würde die Familie, insbesondere unser Kind gefährden, und so befinde ich mich in einem anhaltenden Gewissenskonflikt, insbesondere in Zeiten der Quarantäne.
Ich sage übrigens Quarantäne mit KWE. Als selbst beauftragte Hüterin der schönen Wörter bin ich empört über diese moderne Orthoepik, bitte, was soll das, Karantäne? Ich sage ja auch nicht, jö, schau, da schwimmt eine Kalle, das ist ein Kantensprung für die Menschheit oder: ja, mein Kind, die Ente macht Kak …
Weil wir grade davon sprechen: Klopapier ist ja in den letzten Tagen ein heisses Thema. Ich als Expertin der Bevorratung habe das Mysterium um deren Hamsterkäufe gelöst. Es ist ein eindeutiger Fall von Bionik: Der Mensch nimmt Anleihe im Tierreich und schaut neidvoll auf Lepidoptera, den Schmetterling. Da Homo Sapiens sich nicht selbst zu verpuppen vermag, braucht er Unmengen an Klopapier, um dann, nach der KWArantäne, als wunderschöner Schmetterling aus dem Haus zu flattern. Ich glaube jedoch, mancher hat da was verwechselt mit Melolontha, dem Maikäfer, der ist vor dem Flug leider nur ein fetter Engerling …
FROHLOTTE macht in Zeiten des kollektiven Rückzugs jedenfalls das, was sie am besten kann: sammeln, einlagern, wiederverwerten. Ungeliebte Glas- oder Perlenketten, kaputte Korallenarmbänder & Co sind das Material, aus dem die (Freiheits)Träume sind. Damit Ihr dann, wenn’s so weit ist, ausschwärmen könnt. In all Eurer Pracht. Als farbenfrohe Schmetterlinge und schillernde Maikäfer …
“Leben ist nicht genug”, sagte der Schmetterling.
“Sonnenschein, Freiheit und einen kleine Blume gehören auch dazu.”
Hans Christian Andersen