Das Leben ist Hard Rock!
„Unser Rasen spinnt“, ruft mein für ungewöhnliche Sager berüchtigter Mann, während sich seine Stirn sorgenvoll kräuselt. Ich muss lachen. Das Gras, das unsere Terrasse säumt, will nämlich nicht wachsen, sondern beschließt, an den Stellen der von ihm übermäßig aufgetragenen Düngerhäufchen langsam zu verbrennen. Dem nicht genug: Die Kirschlorbeermauer, hinter der wir uns in der Wohnhausanlage verstecken, verliert ihre Blätter, nachdem wir sie im heißen Sommer 2019 unbeabsichtigt NICHT gegossen haben. Die Waschmaschine ist eingegangen, weil der große oder der kleine Stanislaus trotz meiner gefährlichen Wenn-Dann Drohungen seine Hosentaschen vor dem Waschvorgang NICHT geleert und sich in Folge eine Münze im Schlauch verkantet hat. Die Alarmanlage streikt und signalisiert ihren Unwillen durch permanentes, nervtötendes Fiepen, und die Tischler-Holzbank im Wohnzimmer ist aus den Fugen geraten. Wie die Welt da draußen, die sich in unserem 115m2 Mikrokosmos widerspiegelt.
Am wenigsten Sorgen bereitet mir derzeit die Alarmanlage (die aufgrund des Social Distancing in absehbarer Zeit NICHT repariert werden wird), da wir ohnehin ständig zu Hause sind und uns eine Ninja Warrior Kampfkatze halten (oder richtiger: sie sich uns).
Neben den langsam aufkeimenden existenziellen Sorgen zweier Selbständiger macht uns diese Anhäufung häuslicher Unwägbarkeiten ebenso langsam aber sicher unrund. Vielleicht liegt es auch daran, dass ständig alle zu Hause sind und BewohnerInnen und Inventar seit 4 Wochen einer ungewöhnlichen Belastungsprobe unterzogen werden. Meine Hände sind zum Beispiel rau wie der Parkettboden, aber nicht, weil ich meinem Kind in Sachen Hygiene ein Vorbild sein will, sondern weil ich dem übermäßigen Einsatz chemischer Reinigungsmittel auf meiner Haut nicht gewachsen bin. Ich habe mir übrigens vorgenommen, heute Abend um 18 Uhr auf der Terrasse meiner räumlich distanzierten Putzperle zu applaudieren.
Ich fühle mich daher von den Medien vollkommen unverstanden, die mir ständig etwas von “Entschleunigung” erzählen, Büchertipps geben, mir Yogakurse vorschlagen und tolle neue Rezepte. Bitte, mein Zuhause ist keine Bärenhöhle, in der ich mich friedlich ALLEIN einkuschle, ich lebe in einer Bienenwabe. In dieser Wabe scharwenzelt dauernd einer von rechts nach links und umgekehrt. Ständig verliert einer was, Brösel, Haare, Hautschuppen, Fingernägel, ja sogar Borken sind dabei (der medizinische und literarisch verträglichere Ausdruck für Popel) und EINE von uns Fell. Wen’s interessiert: Das Aufkommen von Borken ist übrigens direkt proportional zum Lurch, denn Nasensekret, wie mir Wikipedia verrät, wird gebildet, um Staub zu filtern.
Um es zu präzisieren: Ich befinde mich 24/7 in einem ausverkauften Metallica-Stadionkonzert, das auf Bienenwabengröße geschrumpft wurde: Genauso viel Mist liegt am Boden herum, genauso groß fühlt sich die mich ständig umgebende Menschenmenge an, genauso lang muss man sich anstellen, wenn man mal aufs Klo muss und genauso laut ist es im Schlafzimmer, wo sich mein Mann den Frust und die Sorgen mit seiner Lieblingsband bei gekipptem Fenster crosstrainert.
Genauso hoch ist übrigens auch der Bierkonsum. Damit sind wir nicht allein. Ein Rundruf unter Freunden ergibt: Freund A., der in der Fastenzeit üblicherweise auf Alkohol verzichtet, argumentiert, da heuer keine Messe stattfindet, sei Ostern ohnehin abgesagt, Freund T. nimmt sich ganz bewußt ein Sabbatical vom Fasten (und hängt es gegebenenfalls nach der Corona-Krise hinten an) und Freundin K. beginnt die Videokonferenz mit einem Schluck aus dem Rotweinglas. Um 15. 48 Uhr.
Das Weltmuseum in Wien sammelt übrigens derzeit Artefakte aus der Corona-Zeit, um sie künftigen Generationen lebensnah zu präsentieren. Ich erwäge, mich zur Verfügung zu stellen und träume von FROHLOTTE, allein in einem stillen Glaskasten.
Auf einer Skala von 1 bis müde bin ich Dornröschen.
(Internet-Definition)