Ich check’s jetzt!
Ja, als Smombie hat man’s nicht leicht, aber leicht hat’s einen. Gut, bei mir ist das was anderes, ich bin beruflich sozusagen quasi gezwungen, immer wieder mal die Lage zu checken. Um 6.30 Uhr im Bett, um 13 Uhr beim Mittagessen, um 23 Uhr vorm schlafen Gehen oder wenn ich warten muss und keine Jeans trage, in denen ich meine Hände verstecken kann oder eine coole Sonnenbrille mein Gesicht beschützt.
Meine Hypothese ist nämlich die: Wir glauben, wir könnten unsere Unsicherheiten mit uns selbst und den anderen VOR uns selbst und den anderen verstecken, indem wir in jeder freien Sekunde auf das Smartphone starren. Wir checken also die virtuelle Lage von anderen, aber selbst checken wir gar nichts. Schon gar nicht die Lage. Wie auch, mit gesenktem Kopf! Früher war das einfacher: Sonnenbrillen, Hosentaschen, Kaugummis und im Idealfall alles in Kombination halfen, uns cool von der Umgebung abzuwenden UND dabei unbemerkt die Lage zu checken. Und heute? Statt im analogen Tinder (U-Bahn, Straßenbahn, ÖBB) das Auge über reale Körper wandern zu lassen, wischen wir Fotos nach rechts und links und vereinzeln, im vollen Zug und bei 5.000 Facebook-Freunden.
Vor 30 Jahren hatte ich auch schon immer ein Gerät dabei: einen Walkman. Der war so groß, dass man einen Tragegurt brauchte, um die selbst aufgenommene Kassette zu mobilisieren, aber er hatte einen entscheidenden Vorteil: Man konnte mit versonnenem Blick cool die Lage checken. Unterstrichen durch ein paar angedeutete dancemoves war man schnell tatsächlich “too sexy for this U-Bahn”. Ich verwendete ihn nicht nur als Mittel zur subtilen Partneranbahnung, ich erkannte, dass sich mein normales Spießer-Studentenleben mit dem richtigen Sound im Ohr in einen aufregenden Film verwandelte.
Während ich also den Wienerberg hinab groovte, war ich Meggie aus “Dornenvögel” (mit Sinead O’Connors “Nothing compares to you”), war ich “Charlie” am Sozius von Maverick (mit Bonnie Tylers “Holding out for a hero”), war ich Madonna (inkognito auf location check in der Meidlinger Bronx).
Kürzlich hatte die ÖBB Verspätung. Facebook hatte ich bereits gecheckt, da fielen mir meine Smartphone-Ohrstöpsel in die Hände. Ich fühlte mich ein wenig nostalgisch, suchte in mir nach dem richtigen Sound, und ZACK! der Film ging los - allerdings diesmal MEIN Film: die fröhliche FROHLOTTE in downtown Vienna. Das Skript geht so:
FROHLOTTE nimmt KEINEN Sitzplatz im Zug, sie lehnt lässig an der Glaswand. Zuerst wippt ihr Fuss, dann ihr Kopf und sie ist geneigt, ein paar Runden headzubangen, hat aber den falschen Song ausgewählt. Sie schaut ihren Mitreisenden fröhlich ins Gesicht und bildet sich ein, die Blicke, die sie erntet, sagen “coole Braut” statt “was hat DIE Alte genommen”. Bei einem Song muss sie laut lachen, steckt damit aber keinen anderen Fahrgast an. Sie tänzelt aus dem Waggon und fühlt sich wie Moses, der das Wasser teilte, während sie durch den Westbahnhof schreitet. Sie hat “Wonderboy” von Tenacious D im Ohr, den tatsächlich besten Song, um sich einen Sober-Trip durch seine Heimatstadt zu geben. Sie ist cool, sie ist happy, sie checkt die Lage. Und Wien ist auch cool, happy und - ein bisschen Gaga: Weil sie ja nun ihren Blick schweifen lässt, sieht sie den jungen Mann mit dem verstörenden Minipli, das er todernst auf seinem Kopf spazieren trägt. Sie sieht die junge Frau, die bei Null Grad offenbar ihren Rock vergessen hat und die, die zwar Beinkleid trägt, dafür aber in absurden Designer-Schlapfen (mit Fell am ABSATZ!) OHNE Socken am Arm ihres Gucci-Weicheis (der ihre Handtasche trägt), durch die Innenstadt flaniert. Schließlich sieht sie noch die verhutzelte Alte, die gebeugt über die Kärntner Strasse wackelt und ihr mit ihren hellwachen Augen schelmisch zublinzelt. Ja, DIE Frau hat’s gecheckt!
Und ich check’s jetzt auch. Wer den Kopf hebt, hat mehr vom Leben. Von dem in einem drin und dem um einen herum. Deshalb steige ich jetzt um auf “Walkman” und freue mich auf alle FROHLOTTE-Filme, die da kommen werden. Und all die neuen Schmückstücke, die mir damit von der Zange perlen.
Come fly with me, fly …
(https://www.youtube.com/watch?v=YaB66KFLECU)