Das Schweigen der Lämmer
Manchmal glaubt man ja, man sei im falschen Film. Blöd, wenn man selbst Teil davon ist und es nicht mitbekommt, ich sage nur Smombie, Facebook und Go-Pro (die für Sportler getarnte Teleskopstange). Nein, ich stimme nicht in den allgemeinen Abgesang auf Kultur, Werte und Geisteszustand ein, ich beobachte nur:
Wir befinden uns im Speisesaal eines Südtiroler Skihotels beim Abendessen. Gedeckter Tisch für 8 Personen. Person 1 kommt, setzt sich und schaut auf sein Handy. Person 2 erscheint, mit Kopfhörern auf den Ohren, in der Hand ein iPad, setzt sich ebenfalls. Personen 3, 4 und 5 kommen, einer zückt sein Handy, der andere klappt sein iPad auf, der letzte ebenfalls mit Kopfhörern und iPad. Schließlich erscheinen Personen 6, 7 und 8, keiner hält ein technisches Gerät. Aber: Person 6 spricht nicht (wird sich allerdings im weiteren Verlauf des Abends ganz seinem Handy zuwenden), Personen 7 und 8 sprechen, jedoch nur untereinander. Es sind die Frauen. Der Rest sind Männer und männliche Kinder im Alter zwischen 6 bis 9 Jahren, schweigend.
Die Kellnerin scheitert mit ihrem Servierversuch an dem mit Tablets vollgeräumten Tisch. Die Geräte werden widerwillig in die Mitte gerückt. Während Söhnen und Vätern Nudeln aus den halb geöffneten Mündern hängen, zocken die Kleinen, die Großen wischen geschäftig am Handy (und zocken wahrscheinlich ebenso). Problem der Väter: das Fleisch lässt sich nicht einhändig schneiden, doch die Frauen eilen nicht zu Hilfe. Sie fühlen sich auch nicht zuständig, als dem einen Kind der Rotz aus der Nase aufs iPad tropft, aber da schreitet der Vater ein, Mensch Junge, pass doch auf! Er findet intuitiv das Riechorgan seines Sohnes, weil er doch wichtige Befehle in sein Handy tippen muss, verdammt nochmal, Frau, muss ich denn alles hier alleine machen!
Im Skikeller, dieselben ProtagonistInnen: Kind 1 und 2 mit je einem Handy in der Hand sowie Kind 3 und 4 an der virtuellen Backe. Alle Kinder setzen sich auf die Bänke und zocken. 10 Minuten später haben sie Skischuhe an den Füssen und nassgeschwitzte Muttis vor den Füssen, aber bemerkt haben sie es nicht.
Am nächsten Abend sitzt neben den zwei Smombie-Familien ein italienisches Paar, 75+. Sie essen und schweigen. Dazwischen schütteln sie entrüstet die Köpfe über das Treiben am Nebentisch … und holen im nächsten Augenblick ihre Handies heraus zum Facebook Checken. Na gut, bitte die beiden sind mindestens schon 100 Jahre verheiratet, was soll man da noch … Aber schau, da, die Francesca in Macchu Picchu, was DIE alles erlebt …
Ein attraktiver Mann, Mitte 40, beobachtet die Szene, blickt zum einen, dann zum anderen Tisch. Er dreht sich zu seinem Sohn, der sich gerade in Woche 10 seiner dreimonatigen Computerstrafe befindet und heimlich über die Tische hinweg bei “Brawlstars” mitspielt. Resigniert legt er seine Stirn in Zieharmonikafalten, blickt seiner mediterran anmutenden Frau tief in die Augen und während sich eine kleine Träne im Augenwinkel sammelt, spricht er den einen, aus tiefst verletzter Unternehmerseele kommenden Satz: “Die alle da werden unsere Pensionen nicht zahlen.”
Ja, wahrscheinlich nicht. Die einen nicht, weil sie das auch bei bester Gesundheit nicht mehr erleben werden. Und die anderen nicht, weil sie jetzt schon nichts erleben. Wer nichts erlebt, hat vieles nicht. Auch nichts zu erzählen. Aber keine Sorge liebe Smombies da draussen, wir helfen weiter: Einfach FROHLOTTES Blog googeln und live dabei sein. In IHREM Leben!
Drei Meter Ladekabel bestellt. Man will ja auch mal ins Freie und was erleben …
(mademyday.com)