Ich liebe Dolly

Liebe Ehemänner und -frauen da draußen! Die Geschichten aus der Reihe “Das (Ehe)Leben ist kein Ponyschlecken” sind eine Liebeserklärung an Euch und Eure skurrilen Marotten. Denn es sind die Brüche in Euren Persönlichkeiten, Eure unvorhersehbaren Handlungen und oft auch unverständlichen Worte, die unserem Alltags(Ehe)grau Farbe verleihen. Wir lieben Euch trotzdem oder vielleicht sogar deshalb. Und umgekehrt - hoffen wir - ist es genauso. 

Prolog:

Berti altert akustisch. Leo will nichts davon hören.

Wie alt sind SIE eigentlich? Ich meine innerlich. Nehmen Sie sich ruhig eine Minute, hören Sie tief in sich hinein, ich warte solange … Also bei uns gibt es eine Diskrepanz zwischen äußerem Erscheinungsbild und innerem Erleben von immerhin 20 (in meinem Fall sogar 25) Jahren. Derer wir nur dann gewahr werden, wenn man uns empörend unsensibel begegnet: Mit einem angebotenen Sitzplatz in der U-Bahn oder einem “Sie” von gefühlt gleichaltrigen Jugendlichen. Wenn nun aber tatsächlich PensionistInnen zu uns DU sagen, sind wir offenbar in der bitteren Realität angekommen. Oder unverschuldet durch das versehentliche Aktivieren einer App (wahrscheinlich Fortnite) in ein Paralleluniversum “gespawnt” worden. Das denkt Berti auch, verrät sich aber neuerdings durch verstörenden Musikgeschmack. Warum Leo nicht mit Käpt’n Iglo Auto fahren möchte und seinem Vater die selbst designte Kopfbedeckung verbietet, lesen sie hier:

Ich liebe Dolly!

Lesezeit: 3 Minuten

Die Wissenschaft beschäftigt sich schon lange mit der Frage nach der Wirklichkeit, ob es sie generell gibt und wie man sie unter Umständen erkennen könnte. Die in diesem Zusammenhang stehende Theorie der Quanten und die Möglichkeit, gleichzeitig verschiedene Leben zu leben, zieht mich magisch an. Wobei ich mir ohnehin schon seit Jahren meine eigene Wirklichkeitskonstruktion gönne und ich muss sagen: Bisher bin ich gut damit gefahren. So auch mein Mann. Wir leben in der Illusion, alterslos zu reifen.

Leider besteht auch eine andere Wirklichkeit außerhalb unserer Blase und so kommt es, dass man uns mit „Sie“ anspricht und uns auch schon mal einen Sitzplatz im öffentlichen Nahverkehr anbietet, während wir in unserer Realität gern mit gleichaltrigen 20-Jährigen abhängen … würden …

Mein fescher Mann war in seinen 20-ern ein Ebenbild des jungen Brad Pitt und ich darf mit Stolz erzählen, dass sich auch seine eigene Mutter von einem Foto narren ließ und meinte: „An das Hemd kann ich mich gar nicht erinnern“. Diese Geschichte erzählen wir uns immer wieder gern mal und ich gebe zu, dass ich zuweilen Vergleiche im Alterungsprozess der beiden Herren anstelle.

Nun waren wir also in München und fanden eine tolle Boutique, in der wir bereit waren, eine beträchtliche Summe für außergewöhnliche Damenoberbekleidung auszugeben. Die aufmerksame Besitzerin des Ladens meinte Freude strahlend, sie wisse, an wen sie mein Mann erinnere. Berti sah ihr erwartungsvoll direkt in die Augen, um jeden Zweifel an der frappanten Ähnlichkeit zu zerstreuen. Ein breites Grinsen erhellte sein Antlitz, während er auf die offensichtliche Antwort wartete, sein Mund formte schon ein „Danke“, während sie ihn anblickte und sagte: „Willem Dafoe … der junge, natürlich“.

Diese Niederlage beschäftigt ihn bis heute und hinterlässt deutliche Risse in seiner Wahrnehmungskonstruktion. Musste er sich viele Jahre lang seine berufliche Seniorität ob seines jugendlichen Aussehens hart erkämpfen, lässt er seine SeminarteilnehmerInnen seit kurzem nicht mehr wohlgelaunt sein Alter schätzen. Zu schmerzhaft, geradezu unsensibel fällt die Antwort aus. Aber nicht nur äußerlich scheint der Zahn der Zeit zu nagen, auch in seinem Inneren ist etwas im Umbruch: Er, der ewige Heavy Metaller, der sich bei gekipptem Fenster den Frust aus dem Körper crosstrainert und die Nachbarschaft mit durchaus verhaltensauffälliger Musik konfrontiert, gestand mir kürzlich, auch auf 80-er Jahre Pop zu stehen (dem er sich in den 80-ern aus Angst vor akutem Ohrenkrebs empört verweigert hatte). So spielte er mir, die ich jeden, ich betone jeden! 80-er Jahre Pop Song bis heute auswendig mitsingen kann, bei der nächsten Autofahrt sein neuestes Lieblingslied vor.

Es ist, unfassbar, „islands in the stream“ von the one and only Dolly Parton, gemeinsam mit Käpt’n Iglo Kenny Rogers. Ich schreie vor Begeisterung und frage mich, ob Kenny wohl noch unter uns weilt, während sich unser Spross im Fond des Wagens versteckt und kopfschüttelnd Drake earpoded.

Vor der nächsten Party sind natürlich alle über diese akustische Geschmacksentgleisung informiert und spielen Dolly in Dauerschleife zu Ehren von Berti. Der fühlt sich missverstanden, versucht, die Situation mit einem „das ist völlig übertrieben, ich liebe Rap und den Raf Camorra mag ich auch“, zu retten, um bei der nächsten Autofahrt seinen Sohn mit der Aufforderung: „Hey Siri, spiele JAN HUREN!“ zu beeindrucken.

Seit kurzem hat Willem Dafoe, der junge, eine neue, juvenile Kopfbedeckung. Es ist ein Käppi, auf dem in riesen Lettern „BERTI“ steht. Leo verbietet ihm, es zu tragen.

Ihr habt auch so einen Berti/Lotti/Leo zu Hause? Oder seid es selbst? Erzählt mir Eure Geschichte, gerne schreibe ich sie auf und veröffentliche Eure skurrile Liebeserklärung hier in FROHLOTTE’s Alltagsperlen!

karin.holzer@sternschanze.at

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